Mikrobiologie bei Hochwasser - wenn aus Wasser Schimmel wird

Nach einem Hochwasser denken viele zuerst an durchnässte Möbel, zerstörte Böden und Schlamm. Doch was oft unterschätzt wird, ist das unsichtbare Problem danach - die mikrobiologische Belastung.
Bakterien, Schimmelpilze und andere Mikroorganismen finden nach einem Wasserschaden ideale Bedingungen vor. In diesem Beitrag erfährst du, was mikrobiologisch bei einem Hochwasser passiert, welche Gefahren drohen und wann du handeln musst, um gesundheitliche Risiken und Folgeschäden zu vermeiden.
Veröffentlicht: 13.10.2025

Welche Wässer bei Hochwasser ins Haus gelangen können

Viele Menschen gehen nach einer Überschwemmung davon aus, dass „Wasser eben Wasser“ sei. Aber aus mikrobiologischer Sicht gibt es enorme Unterschiede. Denn die Art des eingedrungenen Wassers bestimmt, welche Mikroorganismen, Schadstoffe und Risiken in ein Gebäude gelangen und damit, wie man richtig reagieren muss. Regenwasser - das scheinbar harmlose Nass Regenwasser klingt zunächst unproblematisch. Es ist vergleichsweise sauber, enthält aber stets Sporen und Bakterien aus der Luft. Nach langen Regenperioden ist die mikrobielle Belastung meist gering. Wird schnell getrocknet, bleibt es oft folgenlos. Doch in Ritzen, Dämmungen oder feuchten Hohlräumen kann auch harmloses Regenwasser zum Nährboden werden - wenn es zu lange bleibt. Oberflächenwasser - mit Nährstoffen und Leben aus der Natur Kommt das Wasser aus Flüssen, Seen oder überfluteten Böden, bringt es eine ganze Welt mit sich: Mikroorganismen aus Erde, Pflanzenresten, Fäkalien von Tieren. Diese Mischung enthält reichlich Nährstoffe, die das mikrobielle Wachstum befeuern. Das Zeitfenster für Gegenmaßnahmen ist hier kurz, nach wenigen Tagen beginnen sich Bakterien und später Schimmelpilze zu vermehren. Fäkalienhaltiges Wasser - die unsichtbare Gesundheitsgefahr Am kritischsten ist sogenanntes Schwarzwasser: Wasser aus Toiletten, Abflüssen oder überlaufenden Kanälen. Es ist hochgradig organisch belastet und voller Fäkalkeime, Krankheitserreger und Abbauprodukte. Hier geht es nicht mehr nur um bauliche Schäden, sondern um Gesundheitsgefahren. Solche Bereiche müssen in der Regel vollständig ausgebaut und dekontaminiert werden. Eine einfache Trocknung reicht hier nicht. Industrieabwässer - chemisch, giftig, heimtückisch Wenn Fabriken, Tankstellen oder Werkstätten überflutet werden, gelangen Chemikalien, Öle oder Schwermetalle in das Wasser. Mikrobiologisch ist das zunächst gar nicht das größte Problem, wohl aber toxikologisch. In solchen Fällen steht die Gefährdungsbeurteilung durch Schadstoffe an erster Stelle.

Vom feuchten Baustoff zum mikrobiellen Hotspot

Was passiert also in einem Haus, das tagelang unter Wasser stand? Zunächst ist alles gleichmäßig durchfeuchtet und damit ein Paradies für Bakterien. Sie sind winzig, anpassungsfähig und schnell. Innerhalb von Stunden beginnen sie, Enzyme freizusetzen, Nährstoffe abzubauen und Biofilme zu bilden. Das sind schleimige Schichten, in denen sich Bakterien gegenseitig schützen und ihre Lebensbedingungen selbst gestalten, ist eine Art „Mikro-Kommune“, die erstaunlich widerstandsfähig ist. Solange die Feuchtigkeit hoch bleibt, dominieren diese Bakterien. Doch sobald das Mauerwerk langsam trocknet, ändert sich alles. Jetzt übernimmt ein anderer Mikrokosmos die Kontrolle: Schimmelpilze. Ihre Sporen sind überall - unsichtbar, leicht und geduldig. Sinkt die Wasseraktivität auf ein für sie günstiges Niveau, beginnen sie zu wachsen. Innerhalb weniger Tage entstehen feinste Hyphen (Pilzfäden), die sich durch Putz, Holz und Tapeten ziehen. Was zunächst nur muffig riecht, zeigt bald erste Verfärbungen: graue, grüne oder schwarze Punkte, die sich zu flächigem Befall entwickeln. Ein klassischer Satz unter Mikrobiologen lautet: „Erst die Bakterien, dann der Schimmelpilz.“ Das gilt besonders nach Hochwasser.

Schimmel zeigt das Problem aber Bakterien verschärfen es

Schimmelpilze sind das sichtbare Warnsignal. Wenn sie erscheinen, ist das biologische Gleichgewicht in einem Gebäude bereits massiv gestört. Ihre Sporen, Enzyme und Stoffwechselprodukte können allergische Reaktionen, Atemwegsreizungen und bei empfindlichen Personen auch schwerwiegendere Symptome auslösen. Besonders gefährdet sind Menschen mit geschwächtem Immunsystem, Asthma oder bestehenden Allergien. Doch was man nicht sieht, ist häufig noch problematischer: Bakterien und ihre Zellbestandteile. Nach einem Hochwasser, insbesondere wenn fäkalbelastetes Wasser beteiligt war, vermehren sich Bakterien in feuchten Materialien explosionsartig. Selbst wenn sie später absterben, bleiben ihre Endotoxine und Zellwandreste erhalten - winzige Partikel, die sich bei Trocknung in der Raumluft verteilen und Reizungen, Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Entzündungsreaktionen hervorrufen können. In stark durchnässten oder lange feuchten Bauteilen entstehen Mischbiofilme, in denen Bakterien und Pilze zusammenleben und sich gegenseitig schützen. Diese Biofilme sind extrem widerstandsfähig, sie lassen sich weder durch einfache Reinigung noch durch oberflächliche Desinfektion vollständig beseitigen. Darum gilt: Schimmel ist das sichtbare Symptom aber Bakterien sind oft der unsichtbare Verstärker. Beides gehört untrennbar zusammen, wenn man die gesundheitliche Relevanz eines Hochwasserschadens richtig bewerten will. Nur wer die mikrobiologischen Zusammenhänge versteht, kann die Risiken einschätzen und gezielte Sanierungsentscheidungen treffen, bevor sich die Raumluftqualität dauerhaft verschlechtert.

Wie man nach Hochwasser richtig reagiert

Viele Schäden lassen sich eindämmen, wenn man schnell und gezielt handelt. Doch die Realität sieht oft anders aus: Versicherungen brauchen Zeit, Entscheidungen verzögern sich, und erst nach Wochen beginnt die Trocknung. Dann ist es meist zu spät. Was wirklich hilft: Schnelle Erstmaßnahmen Räume leeren, Wasser abpumpen, Oberflächen trocknen. Innerhalb von fünf Tagen kann das Schimmelwachstum noch verhindert werden. Ursachen verstehen Nicht jedes nasse Bauteil ist gleich gefährlich. Entscheidend ist, welches Wasser eingedrungen ist. Eine mikrobiologische Bewertung liefert hier Klarheit. Gesundheit schützen Bei Arbeiten in feuchten oder befallenen Räumen immer Schutzausrüstung tragen: Handschuhe, Atemschutz (mindestens FFP2) und Schutzanzug. Befallene Materialien konsequent entfernen Tapeten, Gipskarton, Dämmstoffe oder Holz, die durchfeuchtet und verfärbt sind, gehören ausgebaut. Eine Trocknung „durch die Wand hindurch“ reicht hier nicht. Mikroskopische Analysen helfen den Schadensbereich zu definieren.
Sanierung mikrobiologisch begleiten Nach der Trocknung sollte eine mikrobiologische Kontrolluntersuchung erfolgen. Nur so lässt sich feststellen, ob Bakterien und Schimmel wirklich entfernt wurden. Ab einer Fläche von mehr als etwa 0,5 Quadratmetern oder wenn poröse Materialien wie Tapeten, Putz, Gipskarton oder Dämmstoffe betroffen sind, sollte unbedingt ein Fachunternehmen hinzugezogen werden. Hier reicht eine oberflächliche Reinigung nicht mehr aus, da das Material meist durchsetzt ist. Auch wenn Schimmel immer wiederkehrt, trotz Reinigung und Lüften, oder sich Anzeichen für einen tieferen Befall im Mauerwerk zeigen, ist eine professionelle Schimmelsanierung erforderlich. Nur Fachleute können zuverlässig feststellen, wie weit sich der Befall ausgebreitet hat und welche Maßnahmen notwendig sind.

Biozide und „effektive Mikroorganismen“ - wenn aus Sanierung Scheinberuhigung wird

Nach einem Hochwasserschaden greifen viele Betroffene instinktiv zu Desinfektionsmitteln oder sogenannten „effektiven Mikroorganismen“, in der Hoffnung, die biologische Belastung so einfach beseitigen zu können. Doch dieser Ansatz ist trügerisch. Der Irrglaube der schnellen Lösung Biozide sollen Mikroorganismen abtöten und das tun sie auch, aber selten vollständig. In porösen Baustoffen wie Putz, Estrich oder Holz wirken sie nur oberflächlich, während tiefer liegende Mikroben überleben oder sich nach kurzer Zeit wieder vermehren. Dabei werden die Zellstrukturen zerstört und es gelangen Toxine und Zellwandfragmente in die Raumluft - also genau die Stoffe, die Reizungen und Entzündungen hervorrufen können. Was bleibt, ist eine scheinbar saubere Oberfläche, die mikrobiologisch aber alles andere als stabil ist. Gerade bei oxidativen Bioziden, wie Wasserstoffperoxid oder Chlorverbindungen, können zudem chemische Reaktionsprodukte entstehen, die die Raumluft zusätzlich belasten. Effektive Mikroorganismen - gute Idee, falscher Ort Auch der Einsatz sogenannter effektiver Mikroorganismen (EM) wird nach Hochwasser gerne empfohlen. Dabei handelt es sich um Mischkulturen aus Milchsäurebakterien, Hefen und Photosynthesebakterien, die in der Landwirtschaft oder im Kompost durchaus sinnvoll sein können. In Innenräumen jedoch führen sie zu biologischer Konkurrenz mit den vorhandenen Mikroorganismen und das in einem Umfeld, das sich nicht reguliert. Statt „gute gegen böse Mikroben“ zu tauschen, entsteht ein unkontrollierbares mikrobielles Gemisch, das unvorhersehbar reagiert. Besonders problematisch ist, dass EM-Produkte organische Nährlösungen enthalten, die Schimmelpilzen und Bakterien im feuchten Milieu sogar zusätzliche Nahrung liefern können. Was wirklich hilft Die einzig nachhaltige Maßnahme nach mikrobieller Kontamination ist die Ursachenbeseitigung: 1) Feuchtigkeit konsequent entfernen 2) befallene Materialien ausbauen 3) mikrobiologisch reinigen und kontrolliert trocknen, 4) anschließend durch Laboranalysen prüfen, ob die Belastung wieder auf Hintergrundniveau liegt. Chemische oder biologische „Wunderlösungen“ ersetzen keine Sanierung, sie verschieben nur das Problem und können es in manchen Fällen sogar verstärken.

Mikrobiologie verstehen heißt: klüger entscheiden

Hochwasserschäden sind mehr als eine bauliche Herausforderung - sie sind ein biologisches Ereignis. Und wer die biochemischen Prozesse dahinter versteht, kann bessere Entscheidungen treffen: Wann lohnt sich die Trocknung? Wann ist ein Ausbau zwingend notwendig? Und welche Risiken bleiben bestehen? In meinen Onlinekursen bei Mykomind lernst du genau das: Wie Wasseraktivität, Nährstoffangebot und Mikrobiologie zusammenspielen, wie man Befunde interpretiert und Sanierungsentscheidungen auf fachlicher Grundlage trifft - statt aus Unsicherheit oder Bauchgefühl.

Mikrobiologie verstehen heißt: klüger entscheiden

Nach einem Hochwasser geht es nicht nur darum, Räume trocken zu legen – sondern Leben zu stoppen, das man mit bloßem Auge nicht sieht. Bakterien, Pilze und chemische Rückstände hinterlassen Spuren, die oft Monate bestehen bleiben. Doch wer versteht, wie diese Mikroorganismen funktionieren, erkennt früh, wo die Gefahr wirklich liegt und kann gezielt handeln. Mikrobiologie ist kein Laborwissen. Sie ist das Verständnis dafür, was in Gebäuden passiert, wenn das Wasser kommt und wenn es wieder geht.
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Die Mikrobiologie hinter Schimmel verstehen - für Sachverständige & Gutachter im Bereich Schimmelprävention und -bekämpfung.
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Judith Meider
Geschäftsführerin, Schimmel-Expertin